Digitalisierung, Daten, Demokratie
Unter dem Motto „Next Digital Level — Let’s build the Media we want” diskutierten zum Auftakt der 33. MEDIENTAGE MÜNCHEN Experten aus Medien, Politik und Wirtschaft Szenarien für die nächste Stufe des digitalen Evolutionsprozesses.
Die Medialisierung nahezu aller Lebensbereiche stellt die digitale Gesellschaft vor Herausforderungen, für die Medienmacher und -nutzer, Medienpolitik und -wirtschaft, Individuen und Öffentlichkeit neue Lösungen finden müssen. Der Bayerische Ministerpräsident Dr. Markus Söder erklärte in seiner Eröffnungsrede, Medien würden technologische Entwicklungen schneller vollziehen als andere Branchen. Die Zukunft werde entscheidend von Technologien geprägt, und wer erfolgreich sein wolle, dürfe nicht ängstlich sein. Zugleich räumte Söder auch Risiken ein. Diese resultierten aus der sinkenden Bedeutung von Fakten im öffentlichen Diskurs, aus sogenannten alternativen Fakten oder Hate Speech. Trotz solcher Phänomene gebe es zum Fortschritt keine Alternative. Andernfalls würden andere „die Welle reiten“ und Deutschland drohe zu einer „digitalen Kolonie“ von großen US-Internetunternehmen zu werden.
In seinem Grußwort forderte der Bayerische Ministerpräsident, die Medienpolitik müsse schneller auf technologische Entwicklungen reagieren. Söder bezeichnete die deutsche Medienregulierung als anachronistisch, altbacken und kleinteilig. Die „unendliche Staatsvertragsmäanderei“ müsse beendet werden. Wichtig sei, die Wieder- und Auffindbarkeit von Rundfunkprogrammen zu sichern, eine chancengleiche Plattformregulierung zu schaffen und Zulassungsverfahren für Rundfunk zu reduzieren. Außerdem müsse auch für private Medienunternehmen eine Public-Value-Idee diskutiert werden. Ausdrücklich sprach sich Söder für eine Stärkung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aus, ohne den die Medienwelt ärmer sei. Deshalb müssten sich ARD und ZDF auch im Internet entwickeln können. Ideen zur Budgetierung und zur Indexierung des Rundfunkbeitrages seien „nicht schlecht“. Vielleicht ergebe sich nach der Landtagswahl in Thüringen für die Landesparlamente „mehr Beinfreiheit“, um eine gemeinsame Lösung zu entwickeln, sagte Söder und empfahl außerdem eine „starke gemeinsame Plattform“ europäischer Medienanbieter.
Welchen Einfluss durch Machine Learning trainierte Algorithmen auf die Meinungsbildung haben, erklärte Zeynep Tufekci, die als Technologie-Soziologin an der University of North Carolina Chapel Hill forscht und lehrt. So hätten etwa die YouTube-Empfehlungsalgorithmen dazu geführt, dass Wähler im vergangenen US-Präsidentschaftswahlkampf politisch „immer extremere“ Inhalte angezeigt bekommen hätten. Die Folgen seien die Radikalisierung der Nutzer und eine Fragmentierung des Publikums, was gesamtgesellschaftlich zunächst kaum wahrgenommen worden sei. Ähnliche Effekte beschrieb Tufekci auch für Facebook. Das alles führe schnell zu Filterblasen und Polarisierung, bewirke in der Summe schließlich eine Art „kollektive Verschmutzung“ des Meinungsklimas. Als Alternative zu „autoritären Infrastrukturen“, wie sie im Silicon Valley oder in China geschaffen würden, empfahl die US-Professorin, in Europa Tools und Empfehlungsalgorithmen zu entwickeln, von denen Werte wie Daten, Meinungsvielfalt und Privatsphäre geschützt werden.
Dass die Internetökonomie zunehmend auf Algorithmen angewiesen ist, bestätigte auch Ringier-Geschäftsführer Marc Walder. Data-Analytics-Prozesse seien mittlerweile von enormer Bedeutung für den Werbe- und Konsumentenmarkt. Um online für die Werbewirtschaft attraktiver zu sein, habe sich in der Schweiz eine Allianz gebildet, die Lesern den Zugang zu ihren Online-Inhalten künftig nur noch erlaube, wenn sie sich einmalig einloggen. Anschließend aber hätten die Leser die Wahl, ob sie dauerhaft der Verwendung ihrer Nutzerdaten zu Werbezwecken zustimmen oder nicht. Dass nach der Print-Branche auch das lineare Fernsehen in den Sog von Online-Geschäftsmodellen gerät, machten alle Diskussionsteilnehmer deutlich. Zwar sei das klassische Fernsehen nicht tot, argumentierte Susanne Aigner-Drews, Senior Vice President von Discovery. Allerdings müssten Bewegtbildinhalte überall dort angeboten werden, wo die Konsumenten seien — also auch im Internet. Fred Kogel sprach in diesem Zusammenhang von einem „Konsolidierungsprozess“. Kogel gründete gemeinsam mit dem Finanzinvestor KKR in den vergangenen Monaten die Unternehmensgruppe Leonine. Als ein „Home of Talents“ entstehe ein Content-Haus, das Inhalte für Kino und Fernsehen in den Sparten Entertainment, Fiction, News und Dokumentation produzieren werde, kündigte Kogel an. Erfolg bedeute künftig vor allem, sehr klein und sehr kreativ in der Nische zu agieren oder sehr groß für den Mainstream zu produzieren.
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